Du bist nicht hier, um zu entscheiden, wer du bist – sondern um dich zu erinnern.

Symbolbild aus The Matrix mit roter und blauer Pille – steht für den Wendepunkt zwischen Kontrolle und Bewusstsein. Ideal zur Illustration von Entscheidungen, innerer Wahrheit und spirituellen Erkenntniswegen.

Vor Kurzem habe ich den Film The Matrix noch einmal angeschaut – und blieb an einer bestimmten Szene hängen, in der das Orakel zu Neo spricht. Ich stoppte den Film, griff zum Handy und tippte das Zitat sofort in meine Notizen:

„Du bist nicht hierher gekommen, um eine Entscheidung zu treffen. Du hast sie längst getroffen. Du bist hier, um zu verstehen, warum du sie getroffen hast.“

Und wie so oft, wenn ich plötzlich Worte für etwas finde, das schon lange in mir geschlummert hat – aber bisher keinen Ausdruck fand –, überkam mich ein Strom aus herrlich inspirierenden Gedanken zu diesem Zitat.

Diese Szene hat nicht nur etwas in mir berührt – sie öffnete eine Tür zu einer tieferen Schicht des Verstehens: darüber, wer wir sind, warum wir hier sind und wie wenig Kontrolle wir möglicherweise über den Lebensweg haben, den wir gehen. Und zwar nicht auf eine einschränkende Weise – sondern auf eine zutiefst befreiende.

🕘 Lesezeit: ca. 7 Minuten

In diesem Blogpost teile ich, was dieses Zitat für mich bedeutet – nicht als philosophische Idee, sondern als gelebte Erfahrung. Eine Perspektive, die mich daran erinnert, den Griff der Kontrolle zu lösen, dem Fluss des Lebens mehr zu vertrauen und die tiefere Intelligenz hinter der Geschichte zu erkennen, von der ich dachte, ich würde sie selbst schreiben.

Ich gehe den Wortlaut des Zitats Satz für Satz durch – und zeige am Ende, wie ich die theoretische Interpretation ganz praktisch in mein Leben einlade.

Perspektivwechsel – von Kontrolle zu Vertrauen

Zitat aus dem Film The Matrix: „Du bist nicht hierher gekommen, um eine Entscheidung zu treffen. Du hast sie längst getroffen. Du bist hier, um zu verstehen, warum du sie getroffen hast.“

„Du bist nicht hierher gekommen, um eine Entscheidung zu treffen.“

Vielleicht bist du nicht hier, um die Kontrolle über deinen Lebensweg zu übernehmen. Das "Du", das du zu sein glaubst – jenes Ich, das ständig versucht, die "richtige" Entscheidung zu treffen – ist dein Ego. Verbunden mit deinem Nervensystem versucht es, dich möglichst sicher, komfortabel und unter Kontrolle zu halten. Aber was, wenn das alles eine Illusion ist? Was, wenn du gar nicht entscheiden kannst, was als Nächstes geschieht?

„Du hast sie längst getroffen.“

Was, wenn die eigentliche Entscheidung – das Ja zu dieser Lebenserfahrung – längst getroffen wurde, lange bevor dein Verstand (Ego) sich eingeschaltet hat? Was, wenn das Drehbuch deines Lebens bereits geschrieben war, bevor dein Ego überhaupt auf die Bühne trat und sich einbildete, dich durch clevere Entscheidungen beschützen zu können? Nenn es Seele, Essenz, höheres Selbst oder Lebensintelligenz – irgendetwas in dir hat diesem Weg möglicherweise bereits zugestimmt. Vom Anfang bis zum Ende. Von der Geburt bis zum Tod. Du gehst jetzt durch die Landschaft dieses Ja’s. Du erlebst, was du – nicht dein Ego – bereits gewählt hast.

„ Du bist hier, um zu verstehen, warum du sie getroffen hast.“

Während du dich durch dieses bereits gewählte Leben bewegst – in diesem Körper, mit all den Höhen und Tiefen – bekommst du die Chance, dem "Warum" auf die Spur zu kommen. Wenn du in der Illusion gefangen bleibst, die Kontrolle behalten zu müssen, verpasst du die eigentliche Bedeutung deines Daseins. Doch wenn du beginnst, die Höhen und Tiefen als Teil eines bereits geschriebenen Skripts zu sehen — kannst du dich zurücklehnen und beobachten, genießen, lernen, wachsen. Ohne es zu kontrollieren, es zu verändern, es zu erzwingen – sondern nur um die Wahrheit deiner Geschichte zu erkennen.

Durch diese Erfahrung beginnt das Unbewusste, ins Bewusstsein zu treten. Indem du Kontrolle durch Präsenz ersetzt und Widerstand durch Beobachtung, beginnt sich Wahrheit zu zeigen. Denn in diesem inneren Wandel erinnerst du dich daran, was nie verloren war – dein Kern, deine Quelle, das, was du immer schon warst.

Kurz gesagt:

Du bist nicht hier, um zu erschaffen, wer du sein willst. Du bist hier, um dich daran zu erinnern, wer du bist – indem du deinen Weg beobachtest, von dem du dachtest, du müsstest ihn kontrollieren.

Wer du wirklich bist, zeigt sich, wenn du aufhörst, dich zu formen

Lass uns konkret werden.

Nachdem wir nun über die Idee gesprochen haben, dass Wahrheit nichts ist, das wir wählen, sondern etwas, das wir wiedererkennen, stellt sich die Frage:

“Wie kann man das in die Praxis umsetzen?”

Was folgt, ist meine persönliche Perspektive darauf, wie sich Wahrheit zeigt – nicht als Konzept, sondern als gelebte Erfahrung.

1. Schmerz – erste Öffnung zur Wahrheitt

Schmerz & Leid ist oft der Ausgangspunkt. Warum? Weil er den Autopiloten unterbricht. Sobald deine Strategien – Leistung, Kontrolle, Gefallenwollen, Vermeidung – nicht mehr greifen, bist du gezwungen, innezuhalten. Der Schmerz, sei er emotional oder körperlich, wird so stark, dass du nicht mehr weitermachen kannst wie bisher. Du brichst zusammen – nicht weil du schwach bist, sondern weil etwas Wahres in dir gesehen werden will. Und vielleicht erkennst du in diesem Moment: „Ich habe alles getan, was ich dachte tun zu müssen … vielleicht sogar alles erreicht, was ich erreichen wollte — und ich bin trotzdem nicht frei.“ Genau das ist der erste Riss in der Illusion.

2. Emotionale Schleifen – Muster erkennen statt wiederholen

Du landest immer wieder in ähnlichen emotionalen Kreisläufen: fühlst dich nicht gut genug, suchst im Außen nach Erleichterung, überforderst dich, brennst aus. Diese wiederkehrenden emotionalen Kreisläufe sind kein Zufall – sie sind immer wieder Einladungen, die Wahrheit zu sehen. In dem Moment, in dem du dich liebevoll, wertfrei und neugierig fragst: „Warum mache ich das immer wieder?“ – wechselst du von unbewusstem Handeln zur bewussten Beobachtung. Und das ist dein Bewusstsein. Diese Perspektive nenne ich in meiner Arbeit als Therapeutin den Kinosessel, von welchem wir beginnen zu beobachten statt zu kontrollieren.

3. Disidentifikation – Gedanken und Rollen hinterfragen

Du beginnst zu erkennen:

„Dieser Glaubenssatz, dieser Gedanke ist nicht wahr.“ „Diese Angst bin ich nicht.“ „Diese Identität ist eine Rolle, die ich übernommen habe.“

Es geht nicht darum, das Ego zu bekämpfen – sondern es als ein Ensemble innerer Anteile zu erkennen, die versuchen, die Kontrolle zu behalten. Du hörst auf, deine Gedanken und Geschichten als absolute Wahrheit zu verstehen. Und so werden sie sich auflösen, wie sich der Körper der Raupe auflöst – und die Welt, wie sie sie kannte, verschwindet, bevor sie zum Schmetterling wird. Und so beginnt auch deine Wellt der Illusion zu verschwinden. Die Verwandlung in einen Schmetterling ist kein Produkt von Willenskraft oder Kontrolle, sondern das natürliche Entfalten eines Lebens, das längst in der Raupe angelegt war.

Diese Analogie ist nur ein Gleichnis, ja – aber das in uns zu erkennen, kann zutiefst befreiend sein. Denn auch unser eigenes Werden folgt einem Rhythmus: der nicht erzwungen, nicht gesteuert werden kann - und nur sichtbar wird wenn wir uns dem hingegeben.

4. Präsenz – Wahrheit entsteht im Sein, nicht im Denken

Wahrheit ist kein Gedanke. Sie ist ein Zustand des Seins mit dem, was ist – ohne dem Wunsch nach Veränderung. Manchmal zeigt sie sich in der Stille. In der Natur. In der Ruhe nach dem Sturm. Und wenn sie sich zeigt, ist sie nicht beweisbar – aber unübersehbar. Sie trifft dich so tief, dass du nichts mehr sagen musst. Und wenn du sie realisierst– kannst du sie nicht mehr vergessen. Und du kannst nicht zurück in das, was du zuvor illusioniert hast.

5. Hingabe – Wahrheit entfaltet sich jenseits von Kontrolle

Die Wahrheit ist nichts, was du planen und erreichen kannst. Sie zeigt sich in dem Moment, in dem du aufhörst, vor dem Unbequemen davonzulaufen – wenn du aufhörst, gegen das zu kämpfen, was ist. Wahrheit offenbart sich, wenn du dir erlaubst, die Illusion so bewusst zu durchleben, dass du hindurchsehen kannst. Nicht indem du sie kontrollierst, formst oder erzwingst – sondern indem du einfach da bist. Immer wieder neugierig udn liebevoll hinschaust. Bis sich die falschen Schichten von selbst lösen. Mit dieser Hingabe und Akzeptanz verändert sich etwas. Du beginnst, anders zu leben. Nicht weil du solltest – sondern weil du nicht mehr anders kannst. Du handelst aus Klarheit statt aus Angst. Aus Neugier statt aus Kontrolle. Aus Mitgefühl statt aus Selbstschutz.

Warum muss Wahrheit sich überhaupt zeigen?

Als ich meine Partner Tillmann über meine bahnbrechenden Erkenntnisse voller Begeisterung berichtete – fast so, als hätte ich gerade den Heiligen Gral gefunden. Das passiert öfter :) — ich laufe also völlig erfüllt und begeistert zu ihm und ich erwarte, dass er sagt: „Wow Lisa, das ist genial.

Aber das passiert wirklich nie.
(Und ich muss lachen, weil er mich immer wieder daran erinnert, nicht „nie“ oder „immer“ zu sagen – aber in diesem Fall fühlt es sich tatsächlich so an.)

Stattdessen denkt Tillmann – wie meistens – noch eine Ebene weiter.
Er hört mir zu, schaut mich ruhig an und holt mich sanft von meinem kleinen philosophischen Thron. Dann stellt er einfach nur diese eine, alles durchdringende Frage:

Warum?

Warum das Unbewusste? Warum das Ego? Warum die Illusion, das Leiden, das Auseinanderbrechen? Warum Hingabe an die Wahrheit, warum Erwachen, warum Bewusstsein erweitern – warum das alles?”

Er stellte also die eine Frage, die die wirklich zählt. Die Frage, um die ich noch tänzelte, weil es sich so schön anfühlte, es endlich zu wissen… Demütig gab ich mich geschlagen und stammelte noch die ehrlichste, bodenständigste Antwort, die ich heute geben kann, zusammen:

“Weil Bewusstsein sich ohne Kontrast nicht selbst erkennen kann.. Du kannst das Licht nicht begreifen, wenn du nie Dunkelheit erlebt hast. Du kannst Ganzheit nicht erfahren, wenn du nie gespürt hast, wie es ist, gebrochen zu sein. Du kannst Freiheit nicht erkennen, wenn du nie gefangen warst. Ohne Trennung gibt es kein Wiederfinden. Du kannst Frieden nicht begreifen, wenn du nie Krieg gefühlt hast. Und ohne Erfahrung bleibt Wahrheit Theorie.”

Aber vielleicht ist selbst diese Antwort nur ein weiterer Versuch meines Egos, mein Leiden über das verstehen kontrollieren zu wollen. Vielleicht besteht die eigentliche Einladung auch hier darin, mit dem Mysterium des Sinn des Lebens in die Stille zu gehen. Genau das zu tun, worüber ich heute geschrieben habe: die Wahrheit sich in ihrem eigenen Rhythmus entfalten zu lassen. Aufzuhören, es in Bedeutung zu pressen. Und darauf zu vertrauen, dass – wenn die Zeit reif ist – wir es erfahren werden.

Nicht, weil wir es verstanden haben. Sondern weil etwas in uns sich erinnert. Weil es sich anfühlt wie Heimkehr.

Lisa Krause

Lisa Krause is a German clinical psychologist (M.Sc.) and licensed psychotherapist, currently living in Oaxaca, Mexico. Her work is deeply shaped by lived experience: a rare genetic diagnosis and a history of complex, including sexual, trauma opened the door to her own healing—through mindfulness, somatic therapy, and the intentional use of psychedelics in therapeutic settings.

Today, she supports others on their path with presence, professionalism, and a deep trust in the body’s innate intelligence. Lisa holds space for what’s real—grief, old patterns, and the quiet unfolding of potential. She believes that difficult emotions are meant to be felt and understood, while joy and curiosity help us move forward. Her sessions go deep, yet remain infused with clarity, compassion, and a subtle sense of humor.

What sets her work apart is her ongoing commitment to her own inner growth. Many of her clients describe her as deeply impactful—because she lives the very practices she offers. On her blog Notes to Grow, Lisa writes candidly about healing, nature, and the ongoing courage it takes to keep showing up for oneself.

https://www.lisakrause.com
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