Angst ist nicht dein Feind
Ein nächtliches Gespräch mit Angst, Wahrheit und dem Körper
Lesezeit: ca. 4 Minuten
Es war 2:47 Uhr nachts. Ich wollte eigentlich schlafen – aber mein Körper hatte andere Pläne.
Es gab für mich keinen ersichtlichen Auslöser für diese Schlaflosigkeit. Und doch fühlte ich mich extrem unruhig.
Mein Herz raste, mein Blut rauschte wie ein Fluss durch meine Adern. Und in meiner Brust fühlte es sich an, als hätte sich ein Ameisennest eingenistet. Geschäftig, hektisch, waren die Arbeiter:innen dabei etwas zu bauen, das ich nicht sehen konnte.
Ich war hellwach.
Ich konnte die körperlichen Empfindungen eindeutig zuordnen: Es war Angst. Wie so oft war mein Kopf dabei eher leer – keine konkreten Gedanken, keine klare Geschichte dazu. Ich konnte gar nicht genau sagen, wovor ich eigentlich Angst hatte.
Sie war einfach da.
Hartnäckig. Unerklärlich.
Und wie immer: extrem unangenehm.
Also tat ich das Einzige, was in diesem Moment irgendwie Sinn ergab:
Ich beobachtete meinen Körper.
Was sind das für intensive Empfindungen?
Was genau machen sie so unangenehm?
Und warum will ich sie eigentlich sofort loswerden?
Je mehr ich mich den Empfindungen in meinem Körper zuwandte, je neugieriger ich wurde, desto mehr öffnete sich etwas.
Da waren plötzlich Ahnungen. Es entstand ein innerer Monolog, Gedankenfetzen, die mich so sehr faszinierten, dass ich mein Handy nahm – und begann, Notizen zu machen.
Nicht mehr, um die Angst zu lösen.
Nun, um ihr zu begegnen.
Was ich aufschrieb, wurde ein Gespräch mit der Angst – und vielleicht sogar mit ihrer Wahrheit.
“Was, wenn Angst nicht unser Feind ist?”
Was, wenn dieses intensiv unangenehme Gefühl im Körper – diese aufsteigende Energie, dieses „Ich kann nicht atmen“-Gefühl – keine Reaktion folgend unserer Gedanken ist, sondern eine Antwort auf ihre Unwahrheit?
Was, wenn eine Panikattacke uns eigentlich sagen will:
„Nein. Das sind keine wahren Gedanken. Glaube ihnen nicht.“
Was, wenn die langsam kriechende Angst, die sich wie ein Schatten in unser Nervensystem einschleicht, in Wahrheit ein Energieschub ist?
Ein Schubser, ein Zwicken, das uns endlich dazu bringen will, das zu tun, wofür wir eigentlich hier sind?
Ein Hinweis darauf, dass wir vom Weg abgekommen sind – und dass es Zeit ist, unser Sein wieder auf Kurs zu bringen?
“Was, wenn Angst unsere Freundin ist?”
Angst als Wegweiser: Was sie uns wirklich sagen will
Stell dir vor, eine riesige Welle rollt auf dich zu –aber anstatt dich von ihr waschen zu lassen, ist sie die perfekte Welle, die du surfen kannst.
Was, wenn genau diese Nervosität, die Angst, die Panik, die Unruhe im Körper – wie die Welle – dir sagen will: „Ja. Hier entlang. Genau dafür bist du gemacht.“
Und wir deuten die Angst als etwas, das uns im Weg steht, obwohl sie uns eigentlich den Weg zeigt.
Was, wenn die Angst in Wahrheit sagt:
„Du darfst groß sein.
Sichtbar.
Geliebt.
Geschätzt.
Stark, kreativ, klug, talentiert, schön.“
Was, wenn sie dir nicht sagt, dass du vielleicht scheitern wirst – sondern dass du endlich loslassen darfst vom ständigen Müssen, vom Streben nach Anerkennung, weil du tatsächlich all das was du erreichen willst schon längst bist?
Vielleicht ist es gar nicht die Angst, die uns davon abhält, unser Potenzial zu leben – vielleicht ist sie genau das, was uns dorthin führt.
Was, wenn Angst genau dann auftaucht, wenn etwas Neues durch dich geboren werden will – und damit du die Gelegenheit nicht verpasst, macht sie sich bemerkbar?
Was, wenn Angst genau das ist, was wir brauchen, um klar zu sehen? Was, wenn sie uns nicht blockiert – sondern antreibt?
Furcht-voll statt furchtlos: Warum Angst dein größtes Potenzial birgt
Dieses Engegefühl in der Brust.
Dieses Kribbeln, das summende Wespennest von Nervosität im Körper.
Diese intensiven, unangenehmen Empfindungen –
sie fühlen sich für mich manchmal an wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.
Wie etwas, das nicht zerstören, sondern geboren werden will.
Also was passiert, wenn wir nicht versuchen, „furchtlos“ zu sein –
sondern uns erlauben, furcht-voll zu sein?
Wenn wir genau das annehmen, was da ist –
ohne es verändern zu wollen.
Wenn wir ganz genau hinsehen und uns fragen:
Was ist hier eigentlich wirklich wahr?
Und was, wenn genau das der Moment ist,
in dem wir aufhören, zu verleugnen, was vielleicht unsere größte Kraft ist,
wenn es um inneres Wachstum und echtes Potenzial geht?
Hören wir auf, zu verdrängen, was schon immer da war –
und immer da sein wird:
Angst.
Nicht nur ein bisschen – sondern in allgegenwärtiger Fülle.
Angst kann nicht gezähmt, trainiert oder ausgelöscht werden.
Angst will befreundet werden.
Lass uns furcht-voll sein.
Beobachten statt kontrollieren: Wie du Angst und Ego ihren Dialog führen lässt
Versuch dieses kleine Experiment mit mir:
Stell dir vor, Angst ist die Antwort –
nicht das Ergebnis deiner unwahren Gedanken über dich und die Welt.
Misch die Karten neu.
Alles, was du bisher über Angst weißt – oder zu wissen glaubst – wird auf Reset gesetzt.
Und du öffnest dich vielleicht einer ganz neuen Perspektive.
Nämlich dieser:
Was, wenn Angst gerade mit deinem Ego spricht –
und ihm sagt, es soll sich vom Acker machen?
Die Angst richtet sich in diesem Moment nicht gegen dich –
nicht gegen das, was du im tiefsten Inneren bist –
sondern sie ist im Dialog mit deinem Ego.
Und du?
Du kannst dich zurücklehnen und einfach beobachten.
Lehn dich zurück und schau zu.
Schnapp dir eine Tüte Popcorn und beobachte,
wie kraftvoll Angst das Ego in die Knie zwingt.
Beobachte, wie das Ego sich wehrt, wie es Katastrophengedanken produziert, wie die Angst sich im Körper immer spürbarer macht –
und wie du — dein Bewusstsein— dennoch bleibt —nämlich im Kinosessel dieser Show.
Von dem Platz der bewussten Beobachtung aus erkennst du:
Du bist nicht deine Gedanken.
Nicht dein Ego.
Nicht deine Angst.
Du bist das, was alles sieht.
Das, was still bleibt – während das Spiel sich entfaltet.
Du kannst nicht eingreifen oder schlichten.
Die beiden – Angst und Ego – führen ihren Dialog ganz allein.
Du bist einfach nur da.
Still. Wach.
Und genau dieses wache Bewusstsein ermöglicht es der Angst und dem Ego, sich zu entfalten.
Es gibt nichts zu tun – dein Bewusstsein kreiert den Raum für die natürliche Entfaltung.
Der 4D-Film deines Lebens: Beobachten statt mitspielen
Ich war als Kind einmal in einem sogenannten 4D Kino – mit Dolby Surround Sound, vibrierenden Sitzen und kleinen Wasserspritzern aus integrierten Düsen der Vordersitze, wenn Bugs Bunny beim Sprechen spuckte.
Stell dir vor, du sitzt in so einem Kino.
Dem Kino, das sich Leben nennt.
Und jetzt stell dir vor, es gäbe noch eine weitere Dimension – eine, in der du innerlich fühlst, was passiert.
Du siehst nicht nur zu.
Du hörst nicht nur zu.
Du fühlst – in deiner Brust, deiner Kehle, deinem Bauch.
Und du beobachtest auch die Gedanken, die dabei entstehen.
Und trotzdem … ist es nur dein Lebens-Film.
Etwas, das sich auf der Leinwand deines Bewusstseins abspielt.
Die Emotionen, die Empfindungen in deinem Körper –
du kannst sie wahrnehmen wie den Ton aus den Lautsprechern,
wie das Spritzwasser aus den Düsen,
die vibrierenden Sitze unter deinem Hintern,
die Bildwechsel auf der Leinwand.
Selbst den Gedanken kannst du zuhören –
wie dem Erzähler aus dem Off.
Jetzt füge das innere Spüren hinzu:
Dieses Kribbeln in der Brust.
Das Ameisennest, von dem ich gesprochen habe.
Diese Enge im Bauch.
Es ist alles Teil der Show.
Und wenn du da angekommen bist – in deinem Kinosessel, mitten im Spielfilm deines Lebens – dann: Schnapp dir die Tüte Popcorn und schau dir das Spektakel an, das sich „LEBENSERFAHRUNG“ nennt.
Die Illusion der Kontrolle: Warum du das Spiel des Lebens nicht gewinnen kannst
Solange du deinen Wünschen hinterherjagst –
nach Sicherheit, nach Macht, nach Dingen, nach der idealen Beziehung …
bist du gefangen im ewigen Streben.
Vielleicht wirst du sogar ab und zu dort ankommen:
in einer erfüllten Partnerschaft,
mit zwei gesunden Kindern,
in einem schönen Haus,
in einem Leben, das sich erfolgreich anfühlt.
Aber genauso, wie es dich erfüllt,
kann es dich auch wieder leeren.
Der Partner betrügt dich.
Du verlierst deinen Job.
Eines deiner Kinder wird krank.
Dein Haus brennt ab.
Du bist eine Marionette –
gezogen zwischen Fülle und Leere,
zwischen Hoch und Tief.
Mal bist du glücklich,
mal unglücklich.
Der natürliche Fluss des Lebens –
Flut und Ebbe – bestimmt dein Erleben.
Und verzweifelt versuchst du,
die Fülle, das Glück, festzuhalten und zu kontrollieren.
Dein Verstand sagt dir,
er könne das alles steuern –
aber genau das ist die Illusion.
Und genau das ist es,
was dir die Angst zeigen will:
Frieden entsteht nicht durch Gewinnen.
Sondern dadurch,
das Spiel zu verlassen.
Erst wenn du dich erhebst –
über gut und schlecht,
über schwarz und weiß,
über Aufs und Abs –
erinnerst du dich:
Du bist nicht die Welle.
Du bist der Ozean.